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Die Dorot Jewish Division: eine einzigartige jüdische Sammlung in einer öffentlichen Bibliothek

  • Lyudmila Sholokhova
  • vor 19 Stunden
  • 6 Min. Lesezeit

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Die Dorot Jewish Division in der New York Public Library spielt eine zentrale Rolle für die Jüdischen Studien in den Vereinigten Staaten. Ihre Geschichte ebenso wie ihre Bedeutung für die jüdische Gemeinschaft in New York und weit darüber hinaus beeindrucken. Die sorgfältig zusammengestellte Sammlung umfasst über 250.000 Titel: Bücher, Zeitschriften, Inkunabeln, wertvolle Raritäten – die ältesten aus dem 13. Jahrhundert –, einzigartige Archivmaterialien, prächtige mittelalterliche Manuskripte, Theater- und Musikpartituren, Plakate, Fotografien, Ephemera sowie Tonaufnahmen in allen jüdischen Sprachen. Die Bestände umfassen das gesamte Spektrum jüdischer Gelehrsamkeit und Kultur. Ihr zentrales Anliegen ist es, diese Schätze allen Menschen zugänglich zu machen. Schon seit ihrer Gründung ist dieser Gedanke prägend für die Arbeit der Jüdischen Abteilung – das hebt sie von anderen Judaica-Bibliotheken weltweit ab.

 


Die Jüdische Abteilung wurde 1897 als eigenständige Einheit der New York Public Library (NYPL) gegründet. Dies geschah zwei Jahre nach der Zusammenlegung der Astor Library, der Lenox Library und des Tilden Trust, die den Grundstein für die heutigen weltberühmten Sammlungen der NYPL legte. Zuvor befanden sich die jüdischen Bücher als Teil der allgemeinen Sammlung an einem unscheinbaren Platz im Nordflügel des Gebäudes der Astor Library.

 

Dieser Status änderte sich dank des Engagements des in Deutschland geborenen jüdischen Bankiers und Philanthropen Jacob Schiff (1847–1920). Die Förderung von Bibliotheken und Bildung war ihm ein zentrales Anliegen. Ab 1886 wirkte er als Treuhänder und Schatzmeister der Aguilar Free Circulating Library in New York, die vor allem der jüdischen Bevölkerung der Lower East Side zugutekam. 1897 machte Jacob Schiff das Angebot, in der NYPL eine jüdische Abteilung einzurichten.



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Harrington Mann (1864–1937), Fotografie eines gemalten Porträts von Jacob Henry Schiff, 1918 (©New York Public Library)




Im Archiv der NYPL findet sich ein Brief Schiffs vom 15. November 1897, in dem er an seinen Freund, den prominenten Finanzier und Philanthropen John Steward Kennedy (1830–1909), schrieb: „Bezugnehmend auf das Thema einer geplanten Abteilung für semitische Literatur in der New Yorker Bibliothek, über das wir vor kurzem gesprochen haben, werde ich der Bibliothek, wenn gewünscht, die Summe von 10.000 Dollar für den Kauf semitischer Literatur zur Verfügung stellen, unter der Bedingung, dass die Treuhänder der Bibliothek sich bereit erklären, einen kompetenten Kurator oder Bibliothekar für die ordnungsgemäße Betreuung dieser geplanten Abteilung zu finden und auf Dauer zu beschäftigen.“

 

John Shaw Billings, der legendäre erste Direktor der New York Public Library, pflegte über Jahrzehnte hinweg eine enge freundschaftliche Beziehung zu Jacob Schiff. Er unterstützte die Einrichtung einer separaten jüdischen Abteilung in der Stadt mit ihrer schnell wachsenden jüdischen Bevölkerung. Noch im selben Monat wurde Abraham Solomon Freidus (1867–1923) zum ersten Leiter der Jüdischen Abteilung ernannt.

 


Erster Leiter der Jüdischen Abteilung: Abraham Solomon Freidus

 

Freidus, ein bekannter Bibliograf, Kurator und Historiker, wurde im lettischen Riga geboren, wo er eine traditionelle jüdische Ausbildung erhielt. 1889 wanderte er in die USA aus und studierte dort an der Pratt Institute Library School. Anschließend arbeitete er am General Theological Seminary, wo er sich auf die Katalogisierung der lateinischen Bibeln spezialisierte. In seiner Bewerbung für eine Stelle bei der NYPL vom 7. Oktober 1896 erwähnte Freidus seine für die Jewish Publication Society zusammengestellte Bibliografie jüdischer Bräuche – eine bemerkenswerte Leistung für einen 29-jährigen Bibliothekar. Vor seiner neuen Anstellung in der Jüdischen Abteilung hatte er eine Stelle als Katalogisierer innegehabt.



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Unbekannter Fotograf, Abraham Freidus und seine Assistentin Ada Kasanof

ca. 1910–11 (©New York Public Library)



Freidus entwickelte ein detailliertes Klassifizierungsschema für Judaica, das noch heute in der Bibliothek verwendet wird. Den Schwerpunkt legte er auf den Aufbau der Judaica-Referenzsammlungen. Ihm ist es zu verdanken, dass die Sammlung bis heute einen unübertroffenen Ruf als bedeutendes Forschungszentrum für Jüdische Studien genießt. Freidus war 25 Jahre lang Leiter der Abteilung, bis er im Oktober 1923 auf dem Weg zur Arbeit plötzlich an einem Herzinfarkt starb.

 


Aufbau der Sammlung

 

Die Bestandsentwicklung in der Jüdischen Abteilung unterschied sich von der anderer großer Judaica-Bibliotheken, die hauptsächlich durch die Übernahme von Privatbibliotheken prominenter Gelehrter oder Organisationen entstanden. Die Jüdische Abteilung erbte oder erwarb nur wenige, relativ kleine Sammlungen, sie entwickelten stattdessen ihre Bestände stetig und kumulativ durch Käufe und Schenkungen – Buch für Buch.

 

Einige wertvolle hebräische Bücher und Manuskripte übernahm die Jüdische Abteilung aus der Lenox Library in New York, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für ihre Bibelsammlung bekannt war. Diese hatte ihr Gründer James Lenox (1800–1880), ein prominenter amerikanischer Bibliophiler und Philanthrop, zusammengestellt.

 

1897 erhielt die Jüdische Abteilung die persönliche Bibliothek des prominenten russisch-jüdischen Hebraisten, Lexikographen, Pädagogen und Schriftstellers Leon Mandelstamm (1809–1889). Sie umfasste 2.135 Bücher in hebräischer, deutscher und russischer Sprache. Der bibliophile Kaufmann Abraham M. Bank (1854–1904) hatte die Sammlung direkt von Leon Mandelstamm in St. Petersburg erworben und war später nach New York ausgewandert.

 

Auf einer Auktion erwarb die Jüdische Abteilung 1899 rund 500 Bücher, hauptsächlich rabbinische Responsen, aus der persönlichen Bibliothek von Meyer Lehren (1793–1861). Dieser stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Amsterdam.

 

Im Jahr 1903 wurde die Aguilar-Bibliothek in die New York Public Library eingegliedert; ihre zahlreichen jiddischen Bücher und Zeitschriften gingen in die Jüdische Abteilung über. Damit wurde der Grundstein für den jiddischen Bestand der heutigen Sammlung gelegt.


 

Eine neue Heimat an der Fifth Avenue

 

Am 23. Mai 1911 öffnete das im Beaux-Arts-Stil erbaute Hauptgebäude der Bibliothek an der Fifth Avenue/Ecke 42nd Street seine Türen für die Öffentlichkeit. Im ersten Stock erhielt die jüdische Abteilung zum ersten Mal einen eigenen Lesesaal. Die beeindruckende Größe und Eleganz des Gebäudes wurde zu einer zusätzlichen Attraktion für die Leser*innen. Die meisten Besucher*innen waren im Ausland geborene, assimilierte Gelehrte aus Ost- und Mitteleuropa. Viele von ihnen waren russischsprachig und besuchten auch die benachbarte Slawische Abteilung. Später, in den 1930er und 1940er Jahren, wurde der Jüdische Lesesaal zu einem Treffpunkt für geflüchtete Gelehrte aus Nazi-Deutschland. Im Lesesaal herrschte eine Atmosphäre „intellektueller Gastfreundschaft”. Abraham Freidus schätzte, dass in den 1910er bis frühen 1920er Jahren täglich 30 bis 40 Leser die Jüdische Abteilung besuchten – das waren fast 10.000 Besucher pro Jahr. Er erklärte stolz, dass dies weit mehr Besucher*innen waren als im British Museum, in der Bodleian Library in Oxford und im Asiatischen Museum in St. Petersburg.


 

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Unbekannter Fotograf, Lesesaal der Jüdischen Abteilung, ca. 1920-30 (©New York Public Library)




Der in Russland geborene jüdische Publizist und Literaturkritiker Reuben Brainin (1862–1939) beschrieb die regelmäßigen Leser als die „bemerkenswertesten jüdischen Idealisten, Träumer und Visionäre“. Unabhängig von ihrem Alter hatten sie laut Brainin „junge Seelen und kindliche, naive Herzen“. Sie alle kamen nach langen Arbeitstagen in Geschäften oder Fabriken in die Bibliothek.

 

Unter der Leitung von Direktor John Shaw Billings wuchs die Sammlung weiterhin exponentiell, während Jacob Schiff ihr bedeutendster Mäzen blieb. Über mehrere Jahrzehnte hinweg spendete er nahezu 115.000 Dollar zur Entwicklung der Jüdischen Abteilung – einschließlich eines testamentarischen Vermächtnisses in Höhe von 25.000 Dollar. Zu seinen wichtigsten Leistungen zählte 1909 der Erwerb einer herausragenden Sammlung von 371 Aquarellen des renommierten französischen Malers James Tissot (1836–1902) mit Szenen aus dem Alten Testament. Die Tissot-Sammlung befindet sich heute im Jüdischen Museum in New York.

 

Dank Freidus’ Engagement und seinem hohen wissenschaftlichen Anspruch wurde der jüdische Lesesaal zu einem Laboratorium für bahnbrechende enzyklopädische Werke. In der Jüdischen Abteilung wurden Fakten gesammelt, überprüft und Artikel verfasst. In einem Brief an Jacob Schiff vom 13. März 1907 schrieb John Shaw Billings anerkennend: „Ich glaube, es gibt keine andere Sammlung jüdischer Literatur auf der Welt, die in so großem Umfang genutzt wird wie diese. Die Jewish Encyclopedia wurde im Wesentlichen mithilfe dieser Sammlung erarbeitet, und die neue hebräische Cyclopaedia, deren erster Band gerade erschienen ist, hätte in keiner anderen Bibliothek dieses Landes entstehen können.“



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David Bar Pesah (Schreiber), Bar Pesah Mahzor, Handschrift auf Pergament, Deutschland, 14. Jh. (©New York Public Library)




Zudem fand Eliezer Ben-Jehuda (1858–1922) während des Ersten Weltkriegs in der NYPL einen sicheren Zufluchtsort. Er war ein bedeutender hebräischer Lexikograph und bekannt als Begründer des modernen Hebräisch. Als sich der Krieg 1914 nach Palästina ausweitete, war es für Ben-Jehuda und seine Manuskripte für das neue Wörterbuch der hebräischen Sprache in Jerusalem nicht mehr sicher. Er willigte ein, Palästina vorübergehend zu verlassen und nach New York zu kommen, wo er bis zum Ende des Krieges 1918 blieb. Eine kleine Kommission aus angesehenen amerikanischen Bankiers, Geschäftsleuten und Politikern – Jacob Wertheim, Jacob Schiff, Felix Warburg, Julius Rosenwald und Herbert Lehman – brachte Ben-Jehuda und seine Familie nach New York, um sicherzustellen, dass er seine Arbeit dort in angemessener Weise fortsetzen konnte.

 

Mit Unterstützung des US-Botschafters im Osmanischen Reich, Henry Morgenthau, des Bankiers Jacob Schiff und des Leiters der Orientalischen Abteilung, Richard Gottheil, wurde Ben-Jehuda ein großer Raum (Raum 222) in der Bibliothek unmittelbar neben dem Lesesaal der Jüdischen Abteilung zur Verfügung gestellt. Seine Jahre dort erwiesen sich als äußerst produktiv, und er konnte den Großteil seiner Forschungen zu den verbleibenden Lemmata des hebräischen Alphabets abschließen.


 

Perspektiven für die Zukunft

 

Diese spannenden Fakten beleuchten nur die Frühgeschichte der Dorot Jewish Division. In diesem Blogbeitrag ging es nur darum – die späteren Kapitel ihrer reichen Geschichte verdienen eine weitergehende eingehende Betrachtung.



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 Vitrine: 125 Jahre Dorot Division (©New York Public Library)




heutigen Bestände verdanken wir im großen Maße den hohen Maßstäben des Sammelns, denen schon in den frühen Jahren gefolgt wurde. Die Sammlung wächst kontinuierlich weiter und wird heute durch eine Vielzahl elektronischer Ressourcen und Digitalisierungsinitiativen ergänzt. Wir fördern weiterhin herausragende wissenschaftliche Forschung und Vernetzung an der New York Public Library – getragen von unserer Zusammenarbeit mit der Fordham University, dem Manhattan Research Library Initiative Consortium, zu dem auch die Columbia University und die New York University gehören, sowie mit der Israelischen Nationalbibliothek.



Dr. Lyudmila Sholokhova, Kuratorin der Dorot Jewish Collection an der New York Public Library




Titelbild: The New York Public Library (wikimedia commons)


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